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Nachdenken über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Volker Türk, UN-Hochkommissar für Menschenrechte

Volker Türk, UN-Hochkommissar für Menschenrechte, anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und deren inspierender Botschaft:

„Vor 75 Jahren, in einer von beispiellosem Schrecken erschütterten Welt, basierte die Entwicklung der modernen Menschenrechtsbewegung im Streben nach Freiheit auf vielen Strömungen, auf vielen Kulturen und Traditionen:

Auf der großen Welle der Unabhängigkeitsbewegungen, die sich gegen Fremdherrschaft, Kolonialisierung und Ausbeutung wehrten. Auf den Antirassismus- und Anti-Apartheid-Bewegungen und weiter zurückliegend auf dem Kampf gegen die Sklaverei. Auf der Arbeiterbewegung. Auf dem Feminismus. Und in jüngster Zeit auf dem Kampf um unser Leben – auf der Bewegung für Umwelt- und Klimagerechtigkeit.

In einer Zeit existenzieller Bedrohung erarbeiteten Staaten aus Afrika, Asien, Amerika, Europa und dem Nahen Osten gemeinsam ein Handbuch zur Verhinderung von Not, Krieg und Leid.

In den vergangenen 75 Jahren gab es tiefgreifende Fortschritte und viele einzigartige Errungenschaften – Errungenschaften, die gewürdigt, bewahrt und viel besser finanziert werden müssen.

Wir haben ein auf Verträgen basierendes System und eine institutionelle Architektur für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte – einschließlich des Menschenrechtrates samt dessen regelmäßiger Überprüfung und der Möglichkeit zu Sonderverfahren.

Heute ist das Bewusstsein für die Werte und Verpflichtungen jener Systeme viel größer.

Wir konnten das Wachsen innovativer Bewegungen beobachten, die sich auf Menschenrechtsprinzipien stützen. Dazu gehören die Bewegungen für die Rechte indigener Völker, Black Lives Matter, #MeToo und Fridays for Future – um nur einige zu nennen. Vor allem junge Menschen sprechen immer wieder in der Sprache der Menschenrechte, wenn sie ihren Anliegen eine Stimme geben. Ich spreche allen Menschenrechtsverteidigern der Vergangenheit und Gegenwart meine Anerkennung aus.

Menschenrechte sind eine Kraft, mit der man rechnen muss, nicht weil sie den Interessen der Mächtigen dienen, sondern weil sie die Phantasie der Machtlosen erobert haben.

Doch wie wir heute nur zu gut wissen, kann die Unterdrückung der Vergangenheit in verschiedenen Formen zurückkehren.

Wenn es jemals einen Zeitpunkt gab, die Hoffnung auf Menschenrechte für jeden Menschen wiederzubeleben, dann ist er jetzt. Helfen Sie mir, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zu verjüngen, zu zeigen, wie sie den Bedürfnissen unserer Zeit gerecht werden kann, und ihr Versprechen von Würde, Freiheit und Gerechtigkeit für jeden zu erfüllen.

Wir haben mehr gemeinsam, als wir denken. Und wenn wir uns auf unsere Ursprünge besinnen, – und nach vorne schauen, wie die Welt in Zukunft aussehen könnte – können wir sehen, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte nicht nur alte Weisheiten aus allen Kulturen zum Ausdruck bringt, sondern auch unser Überleben sichern wird.“