Das neue Gesicht der Armut 1998

UNIC/130
Hintergrundinformation
Internationaler Tag für die Beseitigung der Armut

Bericht des Generalsekretärs über die Erste UNO-Dekade zur Beseitigung der Armut (1997-2006)

Zum Ende der neunziger Jahre haben sich die Bedingungen armer Menschen und das Ausmaß von Armut in den verschiedenen Regionen der Welt enorm gewandelt. Das geht aus einem Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zur ersten Dekade der Vereinten Nationen zur Beseitigung von Armut (1997-2006) hervor.

In Ost-Asien, wo der seit Menschengedenken größte Fortschritt gegen die Armut in nur wenigen Jahrzehnten erreicht wurde, mußte ein schwerer Rückschlag hingenommen werden. Zwischen Mitte der 60er Jahre und Mitte der 90er Jahre ging in dieser Region die absolute Armut (Pro-Kopf-Einkommen von ca. einem Dollar pro Tag) von 60 auf 20% zurück. Dieser Erfolg war v.a. auf die Förderung des Arbeitskräftepotentials in diesen Ländern zurückzuführen, so der Bericht. Als Ergebnis der jüngsten Finanzkrise – laut einer Statistik, die im Oktober 1998 von der UNO-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten (DESA) publiziert wurde, betrug der Netto-Kapitalabfluß aus Ost-Asien 100 Milliarden Dollar – und auch aufgrund der durch El NiÒo hervorgerufenen Dürre, dürften wieder rund 50 Millionen Indonesier unter die Armutseinkommensgrenze fallen. Gleichzeitig steigen die Lebenshaltungskosten, insbesondere die Kosten für Ernährung. Laut einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) von April 1998, stiegen die Preise für Nahrungsmittel innerhalb von 12 Monaten um 50%. Der Generalsekretär stellt für ganz Ost-Asien eine zunehmende Verarmung, eine Zunahme des sozialen Unfriedens und steigende Arbeitslosigkeit fest. Ebenso seien die Netze der sozialen Sicherung, die nicht in Erwartung einer schnell sich verschärfenden Verarmung geknüpft wurden, stark überfordert.

Allerdings sind die Armen und auch die neuen Armen Ost-Asiens nicht die einzigen Opfer der Turbulenzen auf den Finanzmärkten. Ein Bericht der UNO-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) von September 1998 schätzt, daß die Finanzkrise der Weltwirtschaft bis Mitte 1998 bereits einen Schaden in Höhe von 260 Milliarden Dollar zugefügt hat, also noch vor dem Zusammenbruch der russischen Wirtschaft, dem Ansturm auf die Währungen und Aktienmärkte Lateinamerikas und dem starken Verfall der Aktienmärkte in den USA und in Europa. Der Generalsekretär zitiert in seinem Bericht zur Bekämpfung der Armut den Weltwirtschafts- und Sozial-Report der Vereinten Nationen 1998, der einen empfindlichen Rückgang des Wirtschaftswachstums in allen Entwicklungsländern für das laufende Jahr und fallende Rohstoffpreise prognostiziert. Solche Trends behindern kurzfristig die Bemühungen zur Linderung der Armut und sind in einer Reihe von Ländern die Vorboten für einen Anstieg der Armut.

Langfristig gesehen, wurden jedoch weltweit große Fortschritte bei der Bekämpfung der Armut erzielt. Die vom Generalsekretär zitierten Statistiken der Weltbank zeigen für die Entwicklungsländer einen durchschnittlichen Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens pro Jahr von 1,3% in den Jahren 1970-1996 auf. Allerdings stieg bereits vor der Finanzkrise von 1997/98 in einigen Ländern die Armut sowohl in absoluten wie auch in relativen Zahlen.

Nach dem UNCTAD-Bericht von 1997 über die am wenigsten entwickelten Länder, haben in den letzten Jahren vor allem ihre weltwirtschaftliche Marginalisierung, die erdrückenden Auslandsschulden, die geringen Investitionen in Humankapital, der Mangel an Infrastruktur, sozialer Unfriede und politische Umwälzungen eine große Belastung für die Bevölkerungen der 48 ärmsten Länder der Welt gebracht. Ferner führten die Schwierigkeiten in Ost-Europa und in den Republiken der früheren Sowjetunion beim Übergang von einem zentralisierten zu einem liberalen Wirtschaftssystem in diesem Jahrzehnt zu einem bedeutenden Anstieg der Armut in diesen Ländern.

Die in den Entwicklungsländern kontinuierlich hohe Arbeitslosigkeit hat seit Mitte der 90er Jahre auch in einigen Industrieländern zugenommen. Der Schock in der Weltwirtschaft von 1997/98 hat beträchtlich zu hohen Arbeitslosenraten beigetragen. Eine Prognose der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) von September 1998 rechnet damit, daß im nächsten Jahr ein Drittel der drei Milliarden Arbeitnehmer entweder ohne Arbeit oder unterbeschäftigt sein wird.

Erziehung und Bildung sind ein Schlüssel zur Bekämpfung der Armut, so der Bericht des Generalsekretärs. Nach einer Schätzung der UNO-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) von 1998 ist vor allem in den Entwicklungsländern die Zahl der Immatrikulationen von Studenten gestiegen. Das Bildungsangebot in Lateinamerika und in der Karibik ist nach dem Bericht des Generalsekretärs gut ausgebaut und wurde durch eine Erweiterung des staatlichen Bildungssystems verbessert.

Aber in den am wenigsten entwickelten Ländern “wird Bildungspolitik immer noch durch die wirtschaftlichen und politischen Bedingungen eingeschränkt“, stellt der Bericht fest. Eine ILO-Studie für Süd-Ost-Asien rechnet vor, daß eine zunehmende Zahl von Kindern, den Unterricht in Grundschulen und weiterführende Schulen abbrechen müssen, weil die Familien ihre Kinder dringend als Arbeitskraft benötigen.

Zwei weitere wesentliche Faktoren bei der Bekämpfung der Armut sind sauberes Wasser und ordentliche sanitäre Anlagen. Während der UNO-Dekade für sauberes Trinkwasser und Abwasserbeseitigung (1980-1990), erhielten rund 1,2 Milliarden Menschen Zugang zu sauberem Wasser – eine enorme Leistung. Nach Studien des UNO-Kinderhilfswerks (UNICEF) kamen Anfang der 90er Jahre noch weitere 800 Millionen Menschen in den Genuß sauberen Wassers. Allerdings gibt UNICEF auch an, daß die Zahl der Menschen mit Zugang zu angemessenen sanitären Anlagen seit Mitte der 90er Jahre wieder abnimmt. Der Bericht des Generalsekretärs hebt in dem Zusammenhang das schnelle Wachstum der Städte in den Entwicklungsländern und die Umweltverschmutzung in ländlichen Gebieten als Faktoren hervor, die einen besseren Zugang zu sauberem Wasser behindern. Dies ist ein Teufelskreis: schlechte sanitäre Einrichtungen verursachen Wasserverschmutzung und der Mangel an sauberem Wasser beeinträchtigt die Gesundheit und die Errichtung sanitärer Anlagen.

Auf einem Treffen des Rates für Trinkwasserversorgung und Sanitäreinrichtungen im Jahre 1997 konnte eine leichte Verbesserung in den Bereichen Trinkwasser und Sanitäranlagen festgestellt werden. Das Ziel, alle Menschen mit sauberem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen versorgen zu können, schien vor einigen Jahren noch erreichbar. Heute, so der Rat, ist bei gleichbleibendem Trend wohl erst im Jahr 2100 mit der Verwirklichung dieses Menschheitstraums zu rechnen.

Der Bericht des Generalsekretärs wurde aufgrund der Resolution 52/193 der UNO-Generalversammlung vom 18. Dezember 1997 von der DESA-Abteilung für Sozialpolitik und Entwicklung ausgearbeitet. Neben der Begutachtung von Fortschritten und Rückschlägen in der weltweiten Bekämpfung der Armut analysiert der Bericht auch den Zusammenhang zwischen Armut, Menschenrechten und Entwicklung und prüft die Aktivitäten der Vereinten Nationen zur Unterstützung nationaler Anstrengungen im Kampf gegen die Armut.


Schlüssel zur Beseitigung der Armut

Empfehlungen aus dem Bericht des UNO-Generalsekretärs zur Beseitigung der Armut:

  • Gleicher Zugang zu den wirtschaftlichen und sozialen Vorteilen der Entwicklung sind sowohl in den Industrieländer als auch in den Entwicklungsländern Schlüsselelemente in der Bekämpfung der Armut. Internationale Zusammenarbeit ist die entscheidende Voraussetzung dafür, daß die Vorteile der Globalisierung gerecht verteilt werden. Ein Netz gut ausgebauter internationaler Mechanismen zur Unterstützung nützlicher finanzieller Regulierungen und Stabilitätsmaßnahmen ist dafür von grundlegender Bedeutung.

  • Auslandsschulden stellen für viele Entwicklungsländer, insbesondere in Afrika und in den am wenigsten entwickelten Ländern, eine schwere Belastung dar. Schuldendienstzahlungen tragen noch zur Armut bei, wenn Staatseinkünfte von produktiven Ausgaben für Erziehung, Gesundheit und Infrastrukturmaßnahmen abgezweigt und für Schuldentilgung verwendet werden müssen. Die wichtigste Entwicklung für die am wenigsten entwickelten Länder in Sachen Schuldenerlaß ist die “Heavily Indebted Poor Countries“ Initiative (HIPIC), die eine Senkung der Schulden auf ein nachhaltiges Niveau vorsieht.

  • Von besonderer Wichtigkeit ist es, globale Ziele und Vorgaben mit der Finanzierung und Unterstützung der Umsetzung der beim Weltgipfel für Soziale Entwicklung und anderen Weltkonferenzen eingegangenen Verpflichtungen miteinander in Einklang zu bringen. Weltweit ist die öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) 1996 auf 0,25% des Bruttoinlandsprodukts abgefallen und liegt damit auf dem niedrigsten Stand seit der Einführung ausländischer Hilfe durch den Marshall-Plan vor 50 Jahren. Die auf dem Kopenhagener Gipfel diskutierte 20/20 Initiative stellt einen innovativen Weg zur Erhöhung der finanziellen Mittel für soziale Dienstleistungen aus ODA-Mitteln oder nationalen Etats interessierter Länder dar. Die internationale Gemeinschaft muß unbedingt neue und innovative Wege zur Finanzierung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung finden.

  • Es ist äußerst wichtig, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene Partnerschaften zwischen Regierungen, dem Privatsektor und Organisationen der Zivilgesellschaft in der Bekämpfung der Armut und der Entwicklungsförderung einzugehen. Diese Partnerschaften sollen dazu dienen, die Bemühungen um sozialen Zusammenhalt zu vereinen und nicht, um Lasten neu zu verteilen.

  • Mit politischem Willen, Solidarität und Partnerschaft kann die Beseitigung der Armut ein erreichbares Ziel sein.


Weitere Informationen:

World Economic and Social Survey 1998 (Verkaufsnummer E. 98. II.C.1, ISBN 92-1-1091349); Handels- und Entwicklungsbericht 1998 (Verkaufsnummer E.98.II.D6). Beide Veröffentlichungen sind bei den Vereinten Nationen erhältlich:

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