Konfliktursachen und die Förderung dauerhaften Friedens und nachhaltiger Entwicklung in Afrika

UNIC/98

Generalsekretär Kofi Annan schlägt weitreichende Maßnahmen zum Abbau von politischen Spannungen und Gewalt zwischen und innerhalb der afrikanischen Staaten vor

NEW YORK, 16. April – In seinem bisher vielleicht wichtigsten politischen Bericht hat Generalsekretär Kofi Annan mit bemerkenswert offenen Worten die Ursachen von Konflikten in Afrika analysiert. Er schlägt in dem Bericht auch weitreichende “realistische und erreichbare“ Maßahmen vor, um politische Spannungen und Gewalt zwischen und innerhalb der afrikanischen Staaten entscheidend zu entschärfen und abzubauen.

Der Bericht war vom Sicherheitsrat angefordert worden und wird am 24. April im Rat, möglicherweise auf Ministerebene, eingehend erörtert werden. Der Bericht wurde vor dem Hintergrund wesentlicher politischer und wirtschaftlicher Fortschritte auf dem afrikanischen Kontinent verfaßt, in einer Zeit, in der neue afrikanische Führungspersönlichkeiten mit Zuversicht darauf vertrauen, daß Afrika seinen Weg zum Frieden und zu höheren Stufen der wirtschaftlichen Entwicklung finden wird. Diese jüngsten Erfolge haben neuerlich das internationale Interesse an Afrika geweckt. Der Bericht dürfte daher mit breiter afrikanischer und internationaler Zustimmung rechnen können. Er kommt zu einem Zeitpunkt, wo – so der Generalsekretär – die Bemühungen, mit vergangenen Verhaltensweisen und Ansätzen zu brechen, “endlich beginnen Früchte zu tragen“.

Die Empfehlungen des Generalsekretärs beziehen ihr Gewicht zu nicht geringem Teil aus der Offenheit, mit der er die Ursachen – und Verantwortung – für die Konflikte in Afrika aufzeigt.

“Die ungeheuren menschlichen Tragödien (wie in Ruanda, Somalia und Liberia) nicht verhindert zu haben, war ein Versagen der afrikanischen Führer gegenüber den Völkern Afrikas, ein Versagen der internationalen Staatengemeinschaft, ein Versagen der Vereinten Nationen“, sagte der Generalsekretär und rief alle betroffenen Seiten auf, den politischen Willen zu einem positiven Wandel in Afrika aufzubringen. “Die Vereinten Nationen sind bereit, ihren Teil dazu beizutragen“, erklärte Kofi Annan. “Auch die Welt und auch Afrika müssen dazu bereit sein.“

Angesichts der neuen Dynamik bei der Suche des Kontinents nach Frieden und größerem Wohlstand müsse Afrika heute mehr denn je auf sich selbst sehen. Trotzdem bedürften die afrikanischen Anstrengungen stärkerer internationaler Unterstützung, sowohl im politischen wie im wirtschaftlichen Bereich. Vor allem auf letzteren Gebiet sind größerer Schuldennachlaß und verbesserter Marktzugang für die diversifizierteren afrikanischen Exporte lebenswichtig, um höheren Lebensstandard und damit höhere Stabilität zu erreichen.

Allein im Jahre 1996 waren 14 der 53 Länder des afrikanischen Kontinents in bewaffnete Konflikte verstrickt. Seit 1970 hat es in Afrika 30 Kriege – großteils innerhalb der Staaten – gegeben, heißt es in dem Bericht. Mehr als die Hälfte der weltweit gezählten Todesfälle durch Kriegsursachen gingen auf das Konto dieser Konflikte. Mehr als 8 Millionen Menschen wurden Flüchtlinge, Vertriebene und Heimkehrer.

Ohne Namen zu nennen, verweist der Bericht darauf, daß selbst noch in der Zeit nach dem Kalten Krieg ausländische Interessen im Wettbewerb um Erdöl und andere afrikanische Ressourcen eine maßgebliche Rolle dabei spielten, einige der Konflikte am Leben zu erhalten.

Aber auch die afrikanischen Staaten kommen nicht ungeschoren davon: Der Generalsekretär würdigte zwar ihre zunehmenden Bemühungen um Friedenssicherung und Streitschlichtung, aber er wies auch darauf hin, daß die von manchen Staaten gespielte Rolle “bei der Förderung, ja manchmal sogar Anheizung von Konflikten in benachbarten Ländern offen einbekannt werden muß“.

Unter den verschiedenen Akteuren, die zur Verschärfung der Lage beitragen, kritisierte Generalsekretär Annan vor allem die internationalen Waffenhändler, “die von Konflikten in Afrika profitieren“. Er regte an, daß die Mitgliedstaaten die Verletzung der vom Sicherheitsrat verhängten Waffenembargos gesetzlich als Vergehen unter Strafdrohung stellen sollten. Die öffentliche Identifizierung von Waffenhändlern sei zwar schwierig, räumte der Generalsekretär ein, aber keine andere Initiative würde mehr dazu beitragen, den Strom illegaler Waffen nach Afrika zu unterbinden. Der Generalsekretär ersuchte den Sicherheitsrat, sich mit dieser Frage vordringlich zu befassen. Der Rat soll dabei auch die Frage prüfen, wie die Vereinten Nationen bei der Sammlung, Feststellung und Veröffentlichung solcher Informationen helfen können.

Das Recht der Staaten, für ihre eigene Verteidigung zu sorgen, erkennt der Generalsekretär zwar an, er rief die afrikanischen Staaten aber dennoch auf, ihre Ankäufe von Waffen und Munition auf einen Betrag von weniger als 1,5% ihres Bruttosozialproduktes zu beschränken und sich zu einer Nullwachstumspolitik ihrer Verteidigungshaushalte für die nächsten zehn Jahre zu verpflichten.

Der Generalsekretär verwies auf die “langfristigen Verzerrungen“ in der afrikanischen Wirtschaftspolitik und auf die autoritären Hinterlassenschaften des Kolonialismus, die zu einer höchst personalisierten Regierungsform des “der Gewinner bekommt alles“ geführt habe, wie man sie in Teilen des Kontinents finde. Häufig fehlten die friedlichen Mittel, um Änderungen in der Staatsführung und der “oft gewaltsamen Politisierung der Volksgruppenzugehörigkeit“ herbeizuführen. Da dürfe es nicht wundern, wenn Konflikte praktisch unvermeidbar werden.

Die internationale Staatengemeinschaft habe in jüngster Zeit oft sehr gezögert, die politischen und finanziellen Konsequenzen auf sich zu nehmen, die friedenssichernde Einsätze mit sich bringen; diese Haltung gelte es zu revidieren. Erinnerungen an die Erfahrungen in Somalia erschwerten es der Organisation noch immer, rasch und entschlossen auf Krisen zu reagieren. In Afrika habe der Umstand, daß die Vereinten Nationen nicht mit aller Kraft gegen den Völkermord vorgegangen sind, besonders tragische Auswirkungen gehabt und dazu geführt, daß einige afrikanische Regierungen den Vereinten Nationen eine eher geringfügige Rolle bei der politischen Einschaltung in regionale Angelegenheiten eingeräumt haben. “Das schreckliche Leid der ruandesischen Bevölkerung mahnt uns klar und unmißverständlich, daß die internationale Staatengemeinschaft solche Untätigkeit nie wieder zulassen darf“, erklärte Kofi Annan.

Der Generalsekretär forderte die Mitgliedstaaten auf, neue und besser koordinierte Maßnahmen zur Unterstützung frühzeitiger und entschlossener Einsätze zur Verhinderung oder Beilegung von Konflikten in Afrika zu ergreifen. Friedenssichernde Einsätze der Vereinten Nationen könnten viel bewirken, wenn sie mit einer “glaubwürdigen Abschreckungskapazität und angemessenen Ressourcen ausgestattet und durch ausreichenden politischen Willen gestärkt“ würden. Der Generalsekretär sprach sich dabei vor allem für die Unterstützung regionaler und subregionaler Initiativen aus und lud die Mitgliedstaaten nachdrücklich dazu ein, Beiträge an die Treuhandfonds der Vereinten Nationen und der Organisation für Afrikanische Einheit für Konfliktprävention und Friedenssicherung zu leisten. “Wir sind auf diese Hilfe angewiesen, denn die Vereinten Nationen verfügen weder über die Kapazität, noch über die erforderlichen Mittel und Erfahrungen, um sich allen Problemen zu widmen, die in Afrika auftreten können“, betonte Kofi Annan. “Das ist auch deshalb wünschenswert, weil die internationale Staatengemeinschaft, wo immer dies möglich ist, die afrikanischen Bemühungen zur Beilegung der Probleme Afrikas vor allem ergänzen und nicht ersetzen soll.“

Afrika muß den politischen Willen zeigen, bei der Lösung seiner Probleme auf politische anstatt auf militärische Antworten zu setzen; es muß die demokratischen Kanäle für die Wahrnehmung legitimer Interessen schützen und die politische Opposition achten und legitimieren. Afrika muß auch den Grundsatz der verantwortlichen Staatsführung ernst nehmen, für die Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit Sorge tragen, die Demokratisierung stärken und sich für eine transparente und verantwortliche öffentliche Verwaltung einsetzen. “Ohne den Grundsatz der verantwortlichen Staatsführung hochzuhalten, wird es Afrika nicht schaffen, sich von den drohenden oder realen Konflikten zu befreien, zu heute so evident sind.“

Der Generalsekretär drängte die Regierungen, in Konfliktfällen Sondervermittler oder Sonderkommissionen zu bestellen, die Vertrauen schaffen und praktische Lösungen empfehlen sollen. Außerdem tritt er für die Bildung von “Kontaktgruppen“ interessierter Länder oder die Einberufung von “Sonderkonferenzen“ während und nach Konflikten ein, wie dies etwa im Fall Liberias geschehen ist. Sanktionen müßten zielgenauer eingesetzt werden, da “in einigen Fällen die harten Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung in großem Mißverhältnis zu den wahrscheinlichen Auswirkungen der Sanktionen auf das Verhalten der Protagonisten stehen“. Sanktionen sollten auf Entscheidungsträger und deren Familien gerichtet sein, z.B. durch das Einfrieren persönlicher oder institutioneller Vermögenswerte, oder durch Reisebeschränkungen.

Die Entwicklungshilfe sollte neu strukturiert werden und sich auf hohe Wirksamkeitsbereiche und auf die Beseitigung von Abhängigkeiten konzentrieren. Nach mehr als 40 Jahren technischer Hilfsprogramme werden 90 % der jährlichen Ausgaben für technische Hilfe für nicht-afrikanische Konsulenten verwendet, obwohl Afrika auf vielen Gebieten über Fachkräfte verfüge. Die Geberländer sollten angesichts dieses Umstandes sicherstellen, daß “zumindest 50% ihrer Hilfe an Afrika auch in Afrika ausgegeben wird“, forderte der Generalsekretär.

Neue Finanzmittel sowie der bessere Einsatz bestehender Mittel und die Umsetzung von Maßnahmen im Bereich von Handel und Verschuldung würden Afrika in die Lage versetzen, eigene Mittel zu schaffen und besser zu re-investieren. Das nächste Treffen der Gruppe der Acht führenden Industriestaaten sollte sich mit der Beseitigung der Handelsbarrieren für afrikanische Produkte befassen. Die “untragbare“ Auslandsverschuldung Afrikas in Höhe von $ 328,9 Milliarden im Jahr 1995 müsse einschneidender gesenkt werden, um Wirtschaftsreformen zu fördern und zu verstärken. Diese Maßnahmen müßten so strukturiert werden, daß sie Afrikas künftige Attraktivität für Investitionen nicht gefährdeten sonder diese durch den Wegfall vergangener Lasten von der laufenden Wirtschaftstätigkeit vielmehr noch erhöhten, fügte der Generalsekretär hinzu.

Regionale und subregionale Integrationsprozesse sollten gestärkt werden. Die Organisationen des System der Vereinten Nationen (einschließlich der Bretton-Woods-Institute) sollten ebenso wie andere zwischenstaatliche Organisationen, wie etwa die Europäische Union, die Eigenanstrengungen der afrikanischen Länder unterstützen. Dabei sollten wichtige internationale Initiativen zur Förderung von Frieden und Entwicklung in Afrika voll berücksichtigt werden. Dazu zählten etwa die Neue Agenda der Vereinten Nationen für die Entwicklung Afrikas in den neunziger Jahren und deren Implementierungsprogramm, die Sonderinitiative aller UN-Organisationen für Afrika, die Internationale Tokio-Konferenz über afrikanische Entwicklung und die Verpflichtung Nr.7 der Kopenhagener Erklärung über soziale Entwicklung zur Entwicklung der wirtschaftlichen, sozialen und humanen Ressourcen Afrikas und der am wenigsten entwickelten Länder. 

Die wichtigsten Empfehlungen

Zu Rüstung und Waffenhandel:

  • Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sollten Strafgesetze erlassen, um vor innerstaatlichen Gerichten Verletzungen von Waffenembargobeschlüssen des Sicherheitsrates verfolgen zu können.
  • Der Sicherheitsrat soll dringend prüfen, wie die Vereinten Nationen bei der Sammlung, Feststellung und Veröffentlichung von Informationen über den Waffenhandel helfen können.
  • Die afrikanischen Regierungen sollen ihre Ankäufe von Waffen und Munition auf einen Betrag von 1,5% ihres Bruttosozialproduktes beschränken und in den nächsten zehn Jahren für ein Null-Wachstum ihrer Verteidigungshaushalte sorgen.

Zu Sanktionen:

  • Wirtschaftssanktionen sind oft nur ein stumpfes Instrument und sollten gezielter eingesetzt werden, z.B. durch das Einfrieren von Vermögenswerten von Entscheidungsträgern, ihrer Organisationen und Familien, und durch Reisebeschränkungen.
  • Kombattanten sollten aufgrund des Völkerrechts gegenüber ihren Opfern finanziell haften, wenn etwa Zivilpersonen vorsätzlich zu Kriegszielen gemacht werden. Internationale Rechtsinstrumente und Einrichtungen sollten entwickelt werden, um Vermögenswerte solcher Kombattanten aufzufinden und zu beschlagnahmen.

Zu Flüchtlingen:

  • Internationale Vorkehrungen sollten geschaffen werden, die Regierungen von Aufnahmeländern dabei unterstützen, für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Neutralität in Flüchtlingslagern zu sorgen. Diese Lager sollten möglichst nicht an der Grenze liegen. Kombattanten sollten von echten Flüchtlingen getrennt werden.

Zur strukturellen Anpassung:

  • Die Bretton-Woods-Institute sollten in Erwägen ziehen, “friedensfreundliche“ strukturelle Anpassungsprogramme durchzuführen.
  • Kreditbedingungen dürfen nicht im ethischen Widerspruch zu einem Friedensprozeß stehen. Geberländer sollten einer schwachen Regierung keine Mittel entziehen, wenn diese im guten Glauben und mit Unterstützung der Bevölkerung Anstrengungen zur Umsetzung von Friedensvereinbarungen unternimmt.

Zur Entwicklungshilfe:

  • Die Hilfe soll neu strukturiert werden und sich auf hohe Wirksamkeitsbereiche (ländliche Wasserversorgung, Grunderziehung, primäre Gesundheitsvorsorge) konzentrieren und Abhängigkeiten abbauen.
  • Geberländer sollten dafür sorgen, daß zumindest 50% ihrer Hilfe für Afrika auch in Afrika ausgegeben wird.
  • Neue Finanzmittel sind von den Geberländern erforderlich.

Zu Handel und Verschuldung:

  • Der Geltungsbereich der Initiative von Weltbank und Internationalen Währungsfonds für die hochverschuldeten armen Länder sollte wesentlich ausgeweitet werden, da bisher nur vier afrikanische Länder die Kriterien dieses Programms erfüllt haben.
  • Alle Gläubigerländer sollten die vollständige Streichung aller noch offenen Schulden der ärmsten afrikanischen Länder in Erwägung ziehen.
  • Das nächste Gipfeltreffen der Gruppe der Acht Industriestaaten sollte die Beseitigung der Handelsbarrieren für afrikanische Produkte erörtern.

Zum Sicherheitsrat:

  • Der Sicherheitsrat sollte alle zwei Jahre auf Ministerebene zusammentreten, um die unternommenen Bemühungen und erforderlichen Maßnahmen zur Unterstützung von Frieden und Entwicklung in Afrika zu prüfen.
  • Der Sicherheitsrat sollte die Einberufung einer Gipfeltagung zum gleichen Thema in den nächsten fünf Jahren prüfen.

Zu internationalen Wirtschaftspraktiken:

  • Die Länder sollten bei der Durchführung der Konvention zur Bekämpfung der Bestechung von ausländischen öffentlichen Bediensteten in internationalen Wirtschaftstransaktionen einen Zeitplan für die baldige Umsetzung der Konvention in innerstaatliches Recht festlegen.
  • Die Organisation für Afrikanische Einheit soll bis zum Jahr 2000 eine Afrikanische Konvention über das Verhalten öffentlicher Bediensteter und die Transparenz der öffentlichen Verwaltung ausarbeiten.

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* Vorabtexte des Berichts in englischer Sprache sind beim Informationszentrum der Vereinten Nationen in Bonn, Martin-Luther-King-Straße 8, D-53175 Bonn; Tel.: (228) 815-2780; Fax: (228) 815-2777; e-mail: [email protected] erhältlich, oder im INTERNET unter: http://www.un.org/ecosocdev/geninfo/afrec/sgreport/report.htm.