Maßnahmen zur Eindämmung unkontrollierbarer Kapitalflüsse gefordert

UNIC/113

Vereinte Nationen veröffentlichen World Economic and Social Survey 1998

NEW YORK, 16. Juli – Die Spätfolgen der dritten größeren Währungskrise der 90er Jahre haben einige der am schnellsten wachsenden Wirtschaften der Welt in eine schwere Rezession gestürzt, das weltweite Wirtschaftswachstum verlangsamt und gefährliche Schwachpunkte der internationalen Finanzmärkte aufgezeigt, so der diesjährige UN World Economic and Social Survey (Globaler Wirtschafts- und Sozialüberblick der Vereinten Nationen, E/1998/50).

Die Studie geht davon aus, daß die ökonomischen Schockwellen, die 1997 von einem Ansturm auf ostasiatische Währungen ausgelöst wurden (die zwei vorherigen Krisen trafen 1992 den Wechselkursmechanismus der Europäischen Union und 1994 den mexikanischen Peso, mit nachfolgendem “Tequila-Effekt“ im Jahre 1995), das weltweite Wirtschaftswachstum, nach zwei Jahren mit Wachstumsraten von mehr als drei Prozent, auf schätzungsweise 2,5 Prozent verringern werden.

Die Autoren weisen darauf hin, daß diese Prognose zudem mit einem ungewöhnlich hohen Grad an Unsicherheit behaftet ist, mit der Tendenz nach unten. Als die Studie erstellt wurde, so die Autoren, war die Situation auf den Finanzmärkten unbeständig, verbunden mit einem Rückgang des Welthandels und fortgesetzten Schwierigkeiten von Ländern, ihre Währungen zu verteidigen.

Die Entwicklungsländer traf es am härtesten. Es ist möglich, daß das Wachstum hier die Drei-Prozent-Marke nicht überschreiten wird, nach einem durchschnittlichen Wachstum von fünf oder mehr Prozent in den vergangenen fünf bis sechs Jahren. Für die Industrieländer wird für 1998 ein Wachstum von nur noch 2,25 Prozent vorhergesagt, nach dem Zehnjahresspitzenwert von 2,7 Prozent im letzten Jahr.

Die Transform-Länder, die sich derzeit von einer bedeutenden Schrumpfung ihrer Wirtschaft zwischen 1990 und 1996 erholen, können mit einem Wirtschaftswachstum von drei oder mehr Prozent in diesem Jahr rechnen, nach einer Wachstumsrate von 2,7 Prozent im Jahr 1997.

Neue Überlegungen zur Liberalisierung

Die Ereignisse des vergangenen Jahres haben dazu geführt, daß die Studie den “weitverbreiteten Glauben“ an vollständig liberalisierte Finanzmärkte in Frage stellt, der zum wirtschaftlichen Credo der 90er Jahre geworden ist. Zu diesen Ereignissen gehören: das Unvermögen der ostasiatischen Banken, die übermäßigen Kapitalzuflüsse zu verarbeiten; die blitzschnelle Umstellung der Investoren bezüglich der Einschätzung der ostasiatischen Wirtschaften, die in einer Woche als Kraftwerke und in der nächsten als Parias wahrgenommen wurden; und die Tendenz auf dem internationalen Finanzmarkt, Verluste eher zu übertragen als aufzufangen.

Die Studie betont: “Was jetzt nach Meinung einer wachsenden Anzahl von Experten benötigt wird, ist nicht mehr Deregulierung und mehr Freiheit, sondern eine effizientere amtliche Aufsicht und marktwirtschaftliche Kontrollen“.

Es gab offensichtliche Schwächen sowohl bei der amtlichen Aufsicht in den drei Ländern im Zentrum der Krise, Thailand, Republik Korea und Indonesien, als auch bei den Hilfsprogrammen, die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) für diese Länder aufgelegt wurden.

Die IWF-Programme forderten eine straffere Finanzpolitik – höhere Steuern und weniger Staatsausgaben – sowie höhere Kreditzinsen, um die angegriffenen nationalen Währungen und Bankensysteme zu stützen. Schon zu Beginn der Krise hatten Kritiker die Notwendigkeit solcher Maßnahmen in Ländern in Frage gestellt, die in der Vergangenheit nie mit fiskalischen Ungleichgewichten zu kämpfen hatten. Das Ausmaß der folgenden Rezessionen scheint die Behauptung zu bestätigen, daß die “stark auf Schrumpfung ausgerichteten makroökonomischen Ziele, die den asiatischen Ländern vom IWF vorgegeben wurden, sowie die sie begleitenden Sparmaßnahmen ohne Belang für das tatsächliche Problem waren“. Das Problem, so die Studie, lag im Finanzsektor.

Fairerweise betont der Wirtschafts- und Sozialüberblick, daß Investoren und Spekulanten von den Ländern erwarten, daß sie Sparmaßnahmen ergreifen, um das Vertrauen zu stärken und daß beim IWF ausdrücklich die Wiederherstellung des Vertrauens der Investoren oberste Priorität genießt.

Das “Unsicherheitsprinzip“

Die ostasiatische Erfahrung ist nur ein Hinweis auf den Grad, in dem Liberalisierung und aufgeblähte internationale Kapitalflüsse reguläre makoökonomische Maßnahmen unwirksam machen oder ihre beabsichtigte Wirkung sogar ins Gegenteil verkehren. Der Wirtschafts- und Sozialüberblick 1998 beinhaltet gemäß eines Mandats der Generalversammlung der Vereinten Nationen Empfehlungen für neue Politiken.

Um Maßnahmen wie z.B. Steuern auf grenzüberschreitende Finanztransaktionen oder die chilenische Forderung, einen Teil jeder neuen ausländischen Investition für eine bestimmte Zeit unverzinst in der Zentralbank zu deponieren, zu charakterisieren, wurde gerne das Bild vom Sand benutzt, der in das Getriebe der internationalen Finanzwelt gestreut wird. Das heißt, es soll schwieriger werden, Kapital mit hoher Geschwindigkeit um die Welt zu schicken.

Die Studie schlägt auch vor eventuell “Unsicherheit in das Getriebe der internationalen Finanzwelt“ zu bringen. In diesem Fall beruht der Unsicherheitsfaktor auf der Wechselkursbewertung.

Laut Wirtschafts- und Sozialbericht versuchen viele Entwicklungsländer, ihre Währungen unter der Vorgabe stabil zu halten, daß dies die Unsicherheiten verringert und die begehrten Handels- und Finanzflüsse anregt. Wenn aber Länder mit festen Wechselkursen das Zinsniveau anheben, um die Inflation unter Kontrolle zu bekommen, kann das Kapital in einem Tempo bewegt werden, das letztendlich nicht aufrechterhalten werden kann. Wie in Südostasien geschehen, nähren solche Kapitalzuflüsse Ausgabenbooms und vergrößern das Außenhandelsdefizit. Wenn die Last des Schuldendienstes zu hoch wird, werden Kredite gekündigt, die Währung wird abgewertet, Sparmaßnahmen werden verhängt und es kommt zur Rezession. Um es kurz zu fassen: Wechselkurssicherheit hält das Risiko der Transaktionen für die Finanzmatadore gering.

Die Studie weist darauf hin, daß es nützlicher sein könnte, den Marktkräften zu erlauben, die Wechselkurse von Zeit zu Zeit zu verändern als einen kostenintensiven und aussichtslosen Kampf zu führen, um Schwankungen zu verhindern. Dementsprechend schlägt der Wirtschafts- und Sozialbericht vor, auch den Unsicherheitsfaktors bei den Währungshütern einzuführen. Politiker hätten dann immer noch das Druckmittel der Zielvorgabe für Wechselkurse, aber sie würden deutlich machen, daß sie nicht unbedingt eingreifen würden, um bedeutsame aber zeitlich begrenzte Schwankungen zu verhindern.

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Informationen für Journalisten:

Die Kapitel des World Economic and Social Survey 1998 “The current situation in the world’s economies“ und “The international economy“ sind als UNO-Dokument E/1998/50, Abschnitte 2 und 3 in englischer Sprache erhältlich. Ein Vorabdruck des Hauptkapitels, das einen weltweiten Überblick und Politikvorschläge beinhaltet, ist im Internet unter folgender Adresse abrufbar: http://www.un.org/esa/analysis/wess.htm

Der Bericht (Sales No. E.98.II.C.1, ISBN 92-1-109134-9) wird auch als Buch veröffentlicht und kostet US$24,95. Bitte senden Sie Ihre Bestellung bereits jetzt an: United Nations Publications, 2, UN Plaza, Room DC2-853, Dept. PRES, New York NY 10017 USA, Tel.: 001-212-963-8302, Fax: 001-212-963-3489, E-mail: [email protected] oder an: Palais des Nations, CH-1211 Genf 10, Schweiz, Tel.: 004122-917-2641, Fax: 004122-917-0027, E-mail: [email protected], Internet: http://www.un.org/publications

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an:

Tim Wall, Development and Human Rights Section, DPI, Tel. 001-212-963-1887, e-mail: [email protected].
Tim Wall verschickt Kopien der o.g. Kapitel per e-mail und kann Ihnen Interviews mit den Autoren der Studie vermitteln.