Neue Konzepte zur nachhaltigen Stadtentwicklung

UNIC/4
2. Mai 1996

UNO-Konferenz in Istanbul sucht Lösungen für drängende wirtschaftliche, soziale und ökologische Probleme einer zunehmender Verstädterung

Nach mehrmonatigen Verhandlungen haben sich die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen Anfang 1996 auf den Entwurf eines Globalen Aktionsplans für die Weltsiedlungskonferenz HABITAT II geeinigt, die vom 3. bis 14. Juni 1996 in Istanbul stattfinden wird. Ein Gipfel vom 12. bis 14. Juni wird den Staats- und Regierungschefs Gelegenheit bieten, sich auf Aktionen zu verpflichten, um das Leben in ihren Städten gesund, sicher, gerecht und vor allem ökologisch tragfähig zu gestalten.

Der Entwurf des Aktionsplans, die „Habitat Agenda“, soll ein globaler Aufruf zum Handeln sein und zur nachhaltigen Stadtentwicklung in den beiden ersten Jahrzehnten des kommenden Jahrhunderts beitragen. HABITAT II wird auch Beispiele für Lösungsansätze zur Verbesserung des Lebensumfeldes vorstellen – Initiativen von Regierungen, Kommunalverwaltungen, Organisationen und Basisgruppen, die sich als besonders wirksam bei der Lösungen der drängendsten wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme einer sich zunehmend verstädternden Welt erwiesen haben. Ziel ist es, durch das Vermitteln von Wissen und Erfahrung zum Handeln zu motivieren.

Eine Besonderheit der Konferenz ist die aktive Beteiligung von Kommunalregierungen, des privaten Sektors, der Wissenschaft und der Nichtregierungsorganisationen. Die Mitgliedsstaaten stimmen darin überein, dass nur über eine Partnerschaft zwischen diesen unterschiedlichen Akteuren, die vielen Problemen der Städte gelöst werden können. Bürgermeister aus allen Teilen der Welt werden an der Konferenz teilnehmen und wichtige Beiträge zu den Beratungen über die wachsende Verantwortung der Kommunen in einer Zeit dezentralisierter Verwaltung und knapper Ressourcen leisten.

Die „Habitat Agenda“

Die „Habitat Agenda“ besteht aus einem Vorwort, einem neun Punkte umfassenden Zielkatalog und sechs Verpflichtungen, die von den Regierungen eingegangen werden sollen, um die Ziele von HABITAT II zu erreichen. Im vierten Teil der Agenda werden Strategien zur Umsetzung des Globalen Aktionsplans aufgelistet.

Laut Präambel wird sich die Konferenz auf zwei globalen Themen konzentrieren: „Angemessene Unterkunft für alle“ und „Nachhaltige Entwicklung des Städtebaus in wachsenden Ballungszentren“. Die Agenda entwirft eine positive Vision von nachhaltiger Stadtentwicklung – wo alle über eine angemessene Unterkunft verfügen, in einer gesunden und sicheren Umgebung leben, Zugang zur Infrastruktur haben und einer produktiven, frei gewählten Beschäftigung nachgehen. Angesichts der Tatsache, dass viele Länder nicht über die Mittel verfügen , um mit der schnellen Verstädterung Schritt zu halten, fordert die Agenda in ihrer Präambel Maßnahmen zur Förderung unabhängiger Initiativen, Kreativität und ein breites Netz von Partnerschaften zwischen Regierungen, Kommunalverwaltungen, dem privaten Sektor und den Nichtregierungsorganisationen. Alle Menschen, insbesondere die ungeschützten und benachteiligten Gruppen, werden dazu aufgerufen, sich gleichberechtigt an allen Aktivitäten im Bereich des Städtebaus zu beteiligen.

Der Ziel- und Grundsatzkatalog geht auf Themen wie menschengerechte Unterkünfte, Armutsbekämpfung, nachhaltige Entwicklung, Lebensbedingungen und Raumgestaltung im Städtebau, die notwendige Stärkung der Familie als Basiseinheit der Gesellschaft, Bürgerrechte und Bürgerpflichten, Partnerschaften, Solidarität mit benachteiligten Gruppen und Finanzierungsfragen ein.

Die vorgesehene Selbstverpflichtung der Mitgliedsstaaten erstreckt sich auf folgende sechs Bereiche: die Schaffung angemessener Unterkünfte für alle, nachhaltige Stadtentwicklung, Befähigung, Finanzierung von Unterkünften und Ansiedlungen, internationale Zusammenarbeit und die kontinuierliche Evaluierung der Umsetzung des Aktionsplans. Für jeden Bereich werden konkrete Ziele gesetzt. So sollen sich die Regierungen beispielweise unter dem Titel „Befähigung“ dazu verpflichten, alle wichtigen Akteure aus dem öffentlichen, dem privaten und dem kommunalen Sektor in die Lage zu versetzen, auf allen Ebenen der Stadtentwicklung wirksam Einfluss zu nehmen. Dies gilt z.B. besonders für die Gewährleistung von Transparenz und Verantwortlichkeit bei der Verwendung öffentlicher Mittel.

Die Durchführungsstrategien beschreiben Wege zur Förderung eines funktionierenden Grundstückmarktes und einer nachhaltigen Bodennutzung, zur Erschließung von Finanzquellen, zur Vereinfachung des Zugangs zu Grund und Boden und zur Besitzsicherung. Die Agenda macht außerdem Vorschläge, wie die Regierungen ihre Wohnungs- und Städtepolitik mit der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik abstimmen und die Wohnungsvergabe verbessern können.

Die dritte Vorbereitungskonferenz

Auf der letzten HABITAT II Vorbereitungskonferenz, die vom 5. bis 16. Februar in New York stattfand, wurden Teile des vorläufigen Aktionsplans informell verhandelt, die nun Konferenz zur Annahme vorgelegt werden. Beachtliche Fortschritte wurden beim Thema Partnerschaften zwischen Regierungen, kommunalen Verwaltungen, Nichtregierungsorganisationen und dem privaten Sektor zur Lösung urbaner Probleme erzielt. Nichtsdestotrotz blieb eine Reihe von Themen offen, so z.B. die Frage eines Rechts auf angemessene Unterkunft, die institutionellen Vorkehrungen für die Umsetzung des Globalen Aktionsplans und die Bereitstellung der für die Umsetzung des Plans erforderlichen Finanzmittel. In einer abschließenden Erklärung zeigte sich der Generalsekretär von HABITAT II, Wally N‘Dow, davon überzeugt, dass der Verhandlungsprozess, trotz aller Schwierigkeiten, erfolgreich abgeschlossen werden und zu einem Globalen Aktionsplan führen wird, der „einen globalen Konsens“ widerspiegelt. Der Administrator des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP), James Gustave Speth, bezeichnete HABITAT II als beispiellose Gelegenheit, eine Vielzahl vordringlicher Anliegen wie nachhaltige Entwicklung, Menschenrechte, soziale Entwicklung und Kontrolle des Bevölkerungswachstums im Kontext der Stadtentwicklung zu erörtern.

Modellbeispiele

Fast 600 Modellbeispiele für nachhaltige Siedlungspolitik aus über 90 Ländern wurden einem Technischen Beratungsausschuss vorgelegt, aus denen schließlich Ende März in Toronto von einer internationalen zehnköpfigen Jury 12 Preisträger ausgewählt wurden. Die Preise wurden von Tokio und Dubai gestiftet.

Ausgezeichnet wurden Projekte für den Landerwerb einkommensschwacher Familien in Buenos Aires, Argentinien; die Sanierung von Slumgebieten in Favelas, Brasilien; verbesserte Dienstleitungen für Einwanderer in Toronto, Kanada; Wiederaufbaumaßnahmen nach einer Hochwasserkatastrophe in der chinesischen Provinz Anhui; kommunale Entwicklungseinrichtungen in Adjame, Cote d‘Ivoire; die Einrichtung einer Bank zur Vergabe von Krediten an Frauen in Indien; die Verbesserung von Dienstleistungen unter Einbindung der Bürger in Tilburg, Niederlande; lokale Initiativen zur Förderung der Kommunalplanung und nachbarschaftlichen Partnerschaft in Lublin, Polen; Informationsaustausch und Projektorganisation in Alexandra, Südafrika; urbane Revitalisierung in der Bronx, New York; sowie Umweltschutzmaßnahmen in Chattanooga, Tennessee, der Stadt mit der größten Luftverschmutzung in den USA.

Zur Vorgeschichte der Konferenz

Das Ziel der ersten UN Konferenz über Wohn- und Siedlungsfragen 1976 war, Strategien zu entwickeln, um die Auswirkungen der raschen Verstädterung zu mildern. In den seither vergangenen Jahrzehnten sind die Verstädterung und das Wachstum der Megastädte unaufhaltsam vorangeschritten. Die Einsicht in die Dringlichkeit des Problems bewog die Teilnehmer der Konferenz über Umwelt und Entwicklung 1992 dazu, eine zweite Konferenz über Wohn- und Siedlungsfragen anzuregen, um die Fragen von Wohnung, Unterkunft und Verstädterung zu diskutieren.

1992 beschloss dann die Generalversammlung der Vereinten Nationen, im Jahr 1996 Habitat II zu veranstalten. Gleichzeitig setzte sie einen Vorbereitungsausschuss für diese Konferenz ein.