Weltinvestitionsbericht 1997: Liberalisierung der globalen Investitionstätigkeit? Ja – Aushebelung von Wettbewerbsregulierung? Nein

UNIC/68

UNCTAD-Generalsekretär Rubens Ricupero: „Eine richtige Wettbewerbskultur ist im Zeitalter der wirtschaftlichen Globalisierung unabdingbar.“

GENF/BONN, 19. September (UNCTAD): Die rasch fortschreitende Globalisierung der Wirtschaft kann enorme Vorteile für das Wirtschaftswachstum und die Entwicklung bringen – aber sie kann auch wenigen Großunternehmen zu einer marktbeherrschenden Stellung verhelfen. Die Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD) hat daher heute festgestellt, daß Maßnahmen notwendig sind, um die Funktionsfähigkeit der Märkte aufrechtzuerhalten und den Spielraum für restriktive Unternehmenspraktiken zu verringern.

Dies ist die zentrale Aussage des World Investment Report 1997: Transnational Corporations, Market Structures and Competition Policy (WIR 97)*. Dieser Bericht wird zu einer Zeit veröffentlicht, in der die internationalen Investitionen boomen, die Zahl der transnationalen Unternehmen (TNCs) rasch wächst und in der die Anlagewerte dieser Unternehmen sowie ihr Umsatz rund um den Globus alle Rekorde sprengen. Die Liberalisierung des Systems der ausländischen Direktinvestitionen unterstützt nicht nur diesen Aufschwung, sondern erzeugt auf vielen Märkten auch mehr Wettbewerb.

WIR 97 stellt fest, daß die Dimension einiger Firmenzusammenschlüsse und –aufkäufe, sowie die mögliche Marktbeherrschung durch einige wenige Unternehmen, wichtige Fragen der Wettbewerbspolitik aufwerfen. „Dies wurde zum Beispiel erst kürzlich deutlich, als innerhalb der Europäischen Union über die geplante Fusion von Boeing und McDonnell Douglas, zwei der weltweit größten Luftfahrtunternehmen, debattiert wurde“, betont der Bericht.

Der Bericht weist darauf hin, daß, infolge der manchmal günstigeren Wettbewerbsposition transnationaler Unternehmen, ausländische Direktinvestitionen die Marktkonzentration fördern und den Spielraum für restriktive oder wettbewerbswidrige Maßnahmen durch Firmen erweitern können. Andererseits können TNCs, die aufgrund der weltweiten Integration ihrer Produktion wirtschaftlich leistungsfähiger geworden sind, den Wettbewerb auch fördern, indem sie neue oder qualitativ bessere Produkte in nationale, regionale und globale Märkte einführen. In einer Zeit der Globalisierung ermöglichen es größere Märkte den TNCs, schnell auf höhere Preise irgendwo auf der Welt zu reagieren – nicht nur über den Handel, sondern auch über die Direktinvestitionen. Diese Form der Reaktion ist im Bereich der Dienstleistungen besonders wichtig, da lokale Präsenz hier häufig die einzige Form ist, die Leistungen auf dem lokalen Markt anzubieten.

Wirksame wettbewerbspolitische Maßnahmen sind von grundlegender Bedeutung

Der WIR 97 betont, daß der Abbau von Hürden für ausländische Direktinvestitionen und die Einführung von positiven Standards für den Umgang mit TNCs mit Maßnahmen einhergehen müssen, die sicherstellen, daß die Märkte funktionieren. Dazu gehört u.a. auch die Kontrolle wettbewerbswidriger Firmenpraktiken. „Die Regierungen müssen sowohl freie Investitionen und eine offene Handelspolitik als auch eine Kultur des Wettbewerbs fördern, um das Potential ihrer Wirtschaften zu erhöhen“, sagt UNCTAD-Generalsekretär Rubens Ricupero.

„Die Ausweitung der internationalen Produktion wäre nicht möglich gewesen, wenn das System der ausländischen Direktinvestitionen nicht kontinuierlich liberalisiert worden wäre. Um den größtmöglichen Nutzen durch ausländische Direktinvestitionen zu erzielen, braucht man wirksame Instrumente für eine Wettbewerbspolitik auf internationaler Ebene“, fügt Ricupero hinzu.

Er stellt fest: „Durch die Globalisierung der Produktion und die integrierten internationalen Produktionssysteme der Wirtschaft wie auch durch die Bildung neuer Allianzen, entsteht ein enormes Rationalisierungspotential. Aber wir möchten darauf hinweisen, daß der Wettbewerbspolitik größere Aufmerksamkeit geschenkt werden muß, damit die Vorteile der Globalisierung nicht durch eventuelle wettbewerbswidrige Auswirkungen überkompensiert werden.“

Schlüsselpolitiken miteinander verbinden

Eine der wichtigsten Aussagen für die Regierungen ist, daß Wettbewerbs-, Investitions- und Handelspolitik sich gegenseitig unterstützen müssen, wenn die Bemühungen um eine Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Märkte erfolgreich sein sollen. Dies erläutert der Bericht in einem besonderen Abschnitt unter der Überschrift: Ausländische Direktinvestitionen, Marktstruktur und Wettbewerbspolitik. Eine Wettbewerbspolitik zu haben allein genügt nicht; die Länder müssen auch sicherstellen, daß diese Politik wirksam umgesetzt wird. Dazu braucht man z.B. eine geeignete Institution zur Durchsetzung von Wettbewerb, der es auch erlaubt sein sollte, Nachforschungen in Unternehmen anzustellen. Diese Institution sollte auch in der Lage sein, die Auswirkungen von ausländischen Direktinvestitionen, die zu höherer Marktkonzentration führen, auf den Wettbewerb zu analysieren.

Funktionierende Volkswirtschaften brauchen nicht nur einen liberalen Handel und eine liberale Politik hinsichtlich ausländischer Direktinvestitionen, sondern auch wettbewerbsfähige Märkte – charakterisiert durch niedrige Marktzutritts- und austrittsbarrieren – und wo Unternehmen mit Wettbewerbsdisziplin konfrontiert sind, stellt der Bericht fest. In manchen Fällen könnten die TNCs durch ihre Direktinvestitionen, ihre Zusammenschlüsse und Firmenaufkäufe sowie durch joint ventures den Wettbewerb auf Märkten beschränken, falls die Regierungen hier nicht eingreifen. Dies gilt nicht nur für die direkte Kapitalbeteiligung von anderen Unternehmen im Ausland, sondern kann auch das Ergebnis von Vereinbarungen zwischen größeren Firmen in einem internationalen Rahmen sein, etwa durch die Konzentration von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten.

WIR 97 führt aus daß „in dem Maße, in dem Wettbewerbsfähigkeit und Wettbewerb eine größere Bedeutung in der Politikgestaltung zukommen, und in dem Handel- und Investitionspolitik liberaler werden – die jedoch für sich genommen nicht immer zu wettbewerbsorientierten Märkten führen – die Wettbewerbspolitik zum wichtigsten politischen Instrument wird, um Wettbewerbsfähigkeit und Wettbewerb aufrechtzuerhalten“.

Maßnahmen der Regierungen – eine immer komplexer werdende Aufgabe

Heute verfügen ungefähr 60 Länder über eine eigene nationale Wettbewerbspolitik. Aber die Weiterentwicklung dieser Politik gestaltet sich zunehmend komplexer.

Der Bericht verdeutlicht, daß es aufgrund der Regionalisierung und Globalisierung der Märkte sowie durch die ihnen zugrundeliegenden Produktionsstrukturen zunehmend schwieriger wird, Marktkonzentration ausschließlich mit Blick auf die individuellen, nationalen Märkte zu definieren und zu messen und das Enstehen marktbeherrschender Positionen (und deren möglichen Mißbrauch) zu erkennen.

Aus diesem Grund muß auch die internationale Politik reagieren. In diesem Zusammenhang stellt der Bericht fest, daß die bilaterale Kooperation zwischen Wettbewerbsbehörden zwar zunimmt, die formalen Abkommen auf diesem Gebiet aber auf eine relativ kleine Zahl von Ländern beschränkt sind. In manchen Bereichen gibt es Bemühungen um eine Kooperation auf regionaler Ebene. Ein bemerkenswertes Beispiel ist die Europäische Union, wo die Mitgliedstaaten sich auf gemeinsame Wettbewerbsregeln geeinigt haben und ein gemeinsames Büro zur Überwachung des Wettbewerbs eingerichtet haben.

Der Bericht unterstreicht, daß an der Frage der restriktiven Firmenpraktiken auf verschiedenen Ebenen gearbeitet wird. So wurde beispielsweise auf der ersten Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) im vergangenen Dezember in Singapur beschlossen, die Zusammenhänge zwischen Handels-, Investitions- und Wettbewerbspolitik zu untersuchen. Arbeitsgruppen der WTO sollen sich auf die Ergebnisse der Arbeit stützen, die derzeit bei UNCTAD und in anderen internationalen Foren geleistet wird. Aber angesichts der Tatsache, daß die UNCTAD-Richtlinien und -Regeln zur Kontrolle von restriktiven Unternehmenspraktiken momentan das einzige multilaterale Instrument sind, das alle Aspekte der Kontrolle solcher Praktiken abdeckt, stellt der WIR 97 die Frage nach der Notwendigkeit weiterer internationaler Initiativen in diesem Bereich.

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* World Investment Report 1997: Transnational Corporations, Market Structure and Competition Policy (Verkaufsnummer E.97.II.D.10) ist nur in englischer Sprache erhältlich für US$ 45 bei: United Nations Sales and Marketing Section, Palais des Nations, CH-1211 Genf 10, Schweiz. Fax: (+41-22) 917-0027, E-mail: [email protected]  Internet: http://www.un.org/publications; oder bei United Nations Publications/Sales Sections, Two UN Plaza, Room DC2-0853, Dept. PRES, New York, N.Y. 10017, USA. Tel: (+1-212) 963-8302 oder (+1-800) 253 9646, Fax: (+1-212) 963-3489, E-mail: [email protected]