Deutscher UN-Militärbeobachter im Interview – „Peacekeeping ist Diplomatie in Uniform“

75 Jahre Friedenssicherung der Vereinten Nationen – Um diesen 75. Jahrestag zu würdigen, führen die Vereinten Nationen eine globale Kampagne durch: „Peace begins with me“ , also „Frieden beginnt mit mir“.

Um der Kampagne ein Gesicht zu geben, hat UNRIC den deutschen UN-Soldaten Felix Kessler interviewt, der von August 2022 bis März 2023 bei UNMISS im Südsudan im Einsatz war.

Major Felix Kessler, 35 Jahre alt, ist ein deutscher „UN-Peacekeeper“, Hörsaalleiter und Ausbilder für den deutschen Militärbeobachterkurs am Vereinte Nationen Ausbildungszentrum der Bundeswehr.

„Ich bilde hier vor allem staatliche und internationale Organisationen aus, um deren Mitarbeitende für internationale Risikogebiete oder Kriseneinsätze vorzubereiten, die in sogenannten „Hostile Environments“ arbeiten werden, um auf Gefahrenpotenziale bestmöglichst vorbereitet zu sein.“ Sowohl für Bundeswehr-Angehörige, das Auswärtige Amt, das Bundesinnenmisterium, als auch für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) oder die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) und andere Organisationen werden diese Kurse durchgeführt.

2021 absolvierte Major Kessler seine eigene Ausbildung zum Militärbeobachter in der Schweiz und war schließlich von August 2022 bis März 2023 als Militärbeobachter im Südsudan. Die „United Nations Mission in the Republic of South Sudan“ (UNMISS) ist ein Einsatz der Vereinten Nationen zur Friedenssicherung im jüngsten Staat der Welt. Das Mandat des Einsatzes umfasst die Zivilbevölkerung zu schützen, Bedingungen zu schaffen, die die Bereitstellung humanitärer Hilfe begünstigen, Friedensprozesse zu unterstützen und die Berichterstattung über Verstöße gegen humanitäre- und Menschenrechtsvorschriften zu überwachen und untersuchen.

„Als UN-Militärbeobachter nehmen wir an einer Vielzahl von Patrouillen teil und sollen dadurch ein Lagebild für das Force Headquarter generieren  […], um dann die Peacekeeper bestmöglich einzusetzen“, erklärt Kessler seine Rolle vor Ort.

„Wenn man das Wort „Multidimensional Peacekeeping“ im Lexikon nachschlagen würde, würde dort der Südsudan stehen“. Die Situation im Land sei komplex, erklärt Kessler: der Friedensprozess müsse in einem Kontext stattfinden, der von einer Vielzahl an Konfliktparteien verschiedener Ethnien geprägt sei, die dabei verschiedene Ziele verfolgen würden, gepaart mit einer der schlimmsten humanitären Krisen seit Staatsgründung des jungen Landes.

„Die Arbeit vor Ort kann man sich so vorstellen, dass die Military Observer Teams in einem Field Office eingebettet sind, wovon es in den verschiedenen Staaten jeweils eines gibt. Wir nennen das „vernetzter Ansatz“ – man führt also Patrouillen zusammen mit zivilen UN-Sections durch, also zum Beispiel mit UN-Personal, das für Menschenrechte oder den Schutz von Zivilbevölkerung und Kindern verantwortlich ist. Mit denen fährt man zusammen auf Patrouille. Im Schwerpunkt führt man viele Gespräche – mit der lokalen Bevölkerung, mit den Sicherheitskräften, mit der Polizei – und gewinnt darüber Informationen, die zu einem Lagebild beitragen oder die Nöte und Probleme der Bevölkerung wiederspiegeln.“

Mit Blick auf die Zusammensetzung des Personals bei UN-Einsätzen schildert Major Kessler verschiedene Chancen aber auch Herausforderungen. Das Team könne nur als Ganzes erfolgreich sein, sagt er. „Die Arbeit in dem multinationalen Team ist absolut bereichernd, weil man neue Kulturen, neue Hintergründe und vor allem neue Perspektiven kennenlernt – das ist die eine Seite.“ Auf der anderen Seite könne es herausfordernd sein, ein multinationales Team in einem völlig neuen Umfeld zu sein. Es benötige ein gesundes Mittelmaß an Idealismus und Realismus.

Rückblickend auf seine Zeit im ostafrikanischen Land sagt Kessler, dass er „niemals gedacht hätte, dass er so viele [seiner] erlernten Fähigkeiten so schnell abrufen muss.“ Er schildert eine Situation an einem Militär-Checkpoint der lokalen Armee während einer mehrtägigen Patrouille. Kessler war zu diesem Zeitpunkt erst einen Monat im Land. „In diesem Moment hieß es: Felix, das machst du jetzt.“ Die Gespräche an dem Checkpoint – der gegen die UN-Militärbeobachter gerichtet war – waren intensiv, so Kessler. Das Stresslevel sei immens gewesen. Als UN-Militärbeobachter müsse man in einer solch herausfordernden Verhandlung immer die grundlegenden Werte beachten, unparteiisch bleiben, und stets das Mandat erklären. Ein hohes Maß an ruhiger und interkultureller (Krisen-) Kommunikationsfähigkeit – auf verhandlungssicherem Englisch – sei für alle UN-Peacekeeper, insbesondere aber auch für Militärbeobachter, zwingend erforderlich. „Eigentlich ist Peacekeeping Diplomatie in Uniform“, sagt Kessler. Die erlebte Situation habe ihm aber auch gezeigt, dass die Ausbildung zum Militärbeobachter absolut einsatzreal sei.

Mit Blick auf die multilaterale Ebene schilderte Kessler, dass er durch seinen Einsatz als UN-Peacekeeper gelernt habe, verschiedene Perspektiven einzunehmen. Es gebe Kritik an UN-Missionen, sicherlich in Teilen auch legitime, aber die Lage ohne Friedensmissionen wäre seiner Auffassung nach in vielen Regionen eine schlechtere. Auch wenn die Zahl der geretteten zivilen Opfer schwierig zu quantifizieren sei, sei sie doch das, worum es gehe. „UNMISS ist ein Stabilitätsanker“, so Kessler.

Zurück in Deutschland fasst Kessler rückblickend zusammen: „In einem demokratischen Land zu leben, das Grundrechte, Grundfreiheiten, Menschenrechte, Pressefreiheit, Zugang zu Bildung und freie Wahlen garantiert, ist keine Selbstverständlichkeit“. Dies genieße er seither mit sehr viel mehr Bewusstsein und Dankbarkeit.