Sechs Monate nach Terror-Angriff der Hamas: Guterres fordert „Paradigmenwechsel“ der militärischen Taktik Israels

UN Photo/Eskinder Debebe

UN-Generalsekretär António Guterres hat sechs Monate nach dem Terror-Angriff der Hamas auf Israel eine lange Stellungnahme vor Journalisten in New York verlesen und anschließend Fragen der Presse beantwortet.

„An diesem Sonntag ist es sechs Monate her, dass die Hamas ihre abscheulichen Terroranschläge in Israel startete. Der 7. Oktober ist ein Tag des Schmerzes für Israel und die Welt. Die Vereinten Nationen und ich persönlich trauern mit den Israelis um die 1.200 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, die kaltblütig getötet wurden“, eröffnete Guterres sein Statement.

Nichts könne den Schrecken rechtfertigen, den die Hamas am 7. Oktober auslöste. Guterres verurteilte noch einmal die Anwendung sexueller Gewalt, Folter, Verletzung und Entführung von Zivilisten, das Abfeuern von Raketen auf zivile Ziele und den Einsatz menschlicher Schutzschilde auf das Schärfste.

„Und ich fordere die bedingungslose Freilassung aller Geiseln, die noch immer von der Hamas und anderen bewaffneten Gruppen festgehalten werden. Bis dahin müssen sie durch Besuche und Unterstützung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz menschlich behandelt werden. Ich habe viele Familienangehörige der Gefangenen und sogar ehemalige Geiseln selbst getroffen. Ich trage jeden Tag ihre Angst, Unsicherheit und ihren tiefen Schmerz mit mir“, so Guterres weiter.

In den letzten sechs Monaten habe der israelische Militäreinsatz den Palästinensern in Gaza unerbittlichen Tod und Zerstörung gebracht, mahnte Guterres. Berichten zufolge wurden mehr als 32.000 Menschen getötet und mehr als 75.000 verletzt.

„Leben werden zerstört. Die Achtung des humanitären Völkerrechts liegt in Trümmern. Bei meinem Besuch am Grenzübergang Rafah vor zehn Tagen traf ich erfahrene humanitäre Helfer, die mir kategorisch sagten, dass die Krise und das Leid in Gaza anders seien als alles, was sie jemals gesehen hätten“, schilderte Guterres.

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung – über eine Million Menschen – leide unter katastrophalem Hunger, was unverständlich und völlig vermeidbar sei, so Guterres. Nichts könne die kollektive Bestrafung des palästinensischen Volkes rechtfertigen.

Zutiefst beunruhigt zeigte sich der Generalsekretär der Vereinten Nationen ebenfalls über Berichte, dass das israelische Militär angeblich künstliche Intelligenz als Instrument zur Identifizierung von Zielen bei Bombenangriffen einsetzt, insbesondere in dicht besiedelten Wohngebieten.

„Kein Teil von Entscheidungen über Leben und Tod, die ganze Familien betreffen, sollte der kalten Berechnung von Algorithmen überlassen werden“, forderte Guterres.

Er führte weiter aus, dass die Verweigerung der Einreise internationaler Journalistinnen und Journalisten in den Gazastreifen dazu führe, dass Desinformation und falsche Narrative florieren könnten. Dieser Informationskrieg verstärke das Trauma, denn er verschleiere Fakten und verschiebe Schuld, erklärte er.

Vergangene Woche waren bei einem Luftangriff der israelischen Armee im Gazastreifen sieben Mitarbeitende der Nichtregierungsorganisation World Central Kitchen ums Leben gekommen.

Israel habe Fehler eingeräumt und einige disziplinarische Konsequenzen angekündigt, sagte Guterres. „Aber das grundlegende Problem ist nicht, wer die Fehler gemacht hat, es sind die bestehende militärische Strategie und die Vorgehensweise, die es ermöglichen, dass diese Fehler immer wieder passieren“. Um die israelischen Fehler zu beheben, bedarf es einer unabhängigen Untersuchung und sowie messbare Veränderungen vor Ort, forderte Guterres.

Nach dieser Tragödie wurden die Vereinten Nationen von der israelischen Regierung über ihre Absicht informiert, eine erhebliche Aufstockung der in Gaza verteilten humanitären Hilfe zuzulassen. „Ich hoffe aufrichtig, dass diese angekündigten Absichten effektiv und schnell umgesetzt werden, denn die Lage in Gaza ist absolut verzweifelt“, sagte Guterres. Dennoch brauche es anstatt einzelner Maßnahmen bei der humanitären Hilfe einen „wirklichen Paradigmenwechsel“, so Guterres‘ grundlegende Forderung.