UN-Generalsekretär Guterres: Die Regierungen müssen Frauen stärker vor den Folgen der Corona-Krise schützen

In einem Gastkommentar, der zuerst am 29. April 2020 auf der Frankfurter Rundschau Online erschienen ist, fordert UN-Generalsekretär António Guterres Regierungen auf, Frauen stärker vor den Folgen der Corona-Krise zu schützen:

Erste Anzeichen deuten darauf hin, dass das Covid-19-Virus ein größeres direktes Gesundheitsrisiko für Männer, insbesondere für ältere Männer, darstellt. Doch durch die Pandemie werden Ungleichheiten aller Art, einschließlich der Ungleichbehandlung der Geschlechter, aufgedeckt und ausgenutzt. Langfristig könnten ihre Auswirkungen auf die Gesundheit, Rechte und Freiheiten der Frauen uns allen schaden.

Frauen leiden bereits unter den tödlichen Folgen von Abriegelungen und Quarantänen. Diese Einschränkungen sind unerlässlich – aber sie erhöhen das Risiko von Gewalt gegen Frauen, die mit misshandelnden Partnern gefangen sind. In den letzten Wochen nahm häusliche Gewalt alarmierend zu. Die größte Hilfsorganisation in Großbritannien berichtete von einem Anstieg der Anrufe um 700 Prozent. Gleichzeitig sind Hilfsdienste für gefährdete Frauen mit Kürzungen und Schließungen konfrontiert.

Deshalb rief ich zu Frieden in allen Häusern auf. Seitdem haben sich mehr als 143 Regierungen verpflichtet, Frauen und Mädchen zu unterstützen, die während der Corona-Pandemie von Gewalt bedroht sind. Jedes Land kann aktiv werden, indem es Dienste online anbietet, Schutzräume für häusliche Gewalt ausbaut, sie als unerlässlich einstuft und die Unterstützung von Organisationen stärkt. Die Partnerschaft der UN mit der EU, die Spotlight-Initiative, arbeitet mit Regierungen in mehr als 25 Ländern an diesen und ähnlichen Maßnahmen und ist bereit, ihre Unterstützung auszuweiten.

Die Bedrohung der Rechte und Freiheiten von Frauen durch Covid-19 geht weit über physische Gewalt hinaus. Der wirtschaftliche Abschwung, der mit der Pandemie einhergeht, wird ein weibliches Gesicht haben.

Die ungerechte und ungleiche Behandlung von berufstätigen Frauen ist ein Grund, warum ich in die Politik ging. In den 1960er Jahren sah ich als studentischer Freiwilliger, der in armen Gegenden Lissabons Sozialarbeit leistete, Frauen, die niedere Arbeiten verrichteten und die Hauptlast ihrer Familien trugen. Ich wusste, dass sich das ändern musste – und ich habe in meinem Leben wichtige Veränderungen erlebt. Jahrzehnte später droht Covid-19 diese Zustände und Schlimmeres für viele Frauen auf der ganzen Welt zurückzubringen.

Frauen sind unverhältnismäßig stark vertreten in schlecht bezahlten Jobs ohne Sozialleistungen, als Hausangestellte, Gelegenheitsarbeiterinnen, Straßenverkäuferinnen und in kleinen Dienstleistungen wie dem Friseurhandwerk. Die Internationale Arbeitsorganisation schätzt, dass allein in den nächsten drei Monaten fast 200 Millionen Arbeitsplätze verloren gehen werden – viele davon in diesen Sektoren.

So wie sie ihre bezahlte Beschäftigung verlieren, sehen sich Frauen wegen Schulschließungen, überlasteten Gesundheitssystemen und gestiegenen Bedürfnissen alter Menschen mit mehr Betreuungsarbeit konfrontiert.

Und vergessen wir nicht die Mädchen, deren Ausbildung abgebrochen wurde und wird. In einigen Dörfern in Sierra Leone sank die Einschulungsquote von Mädchen nach der Ebola-Epidemie von 50 auf 34 Prozent, was lebenslange Auswirkungen auf ihr Befinden, das ihrer Gemeinden und Gesellschaften hatte.

Auch viele Männer sind mit dem Verlust von Arbeitsplätzen konfrontiert. Aber selbst in den besten Zeiten leisten Frauen dreimal so viel Hausarbeit wie Männer. Das bedeutet, dass sie eher aufgefordert werden, sich um die Kinder zu kümmern, wenn Geschäfte geöffnet bleiben, während die Schulen geschlossen bleiben, was ihre Rückkehr zu bezahlten Arbeitsplätzen verzögert.

Die Ungleichheit bedeutet auch, dass Frauen zwar 70 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitswesen ausmachen, im Management jedoch weitaus mehr Männer tätig sind und nur jede zehnte politische Führungskraft weltweit ausmachen. Wir brauchen Frauen am Tisch, wenn Entscheidungen über die Pandemie getroffen werden, um Worst-Case-Szenarien wie einen zweiten Anstieg von Infektionen, Arbeitskräftemangel und sogar soziale Unruhen zu verhindern.

Frauen in unsicheren Jobs benötigen dringend sozialen Schutz, von der Krankenversicherung über bezahlten Krankenurlaub, Kinderbetreuung, Einkommensschutz bis hin zu Arbeitslosengeld. Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft wie Geldtransfers, Kredite, Darlehen und Rettungsaktionen müssen auf Frauen ausgerichtet sein – unabhängig davon, ob sie Vollzeit in der formellen Wirtschaft, als Teilzeit- oder Saisonarbeiterinnen in der informellen Wirtschaft oder als Unternehmerinnen arbeiten.

Indem wir die Interessen und Rechte der Frauen in den Vordergrund stellen, können wir diese Pandemie schneller bewältigen und gleichberechtigte und widerstandsfähigere Gemeinschaften und Gesellschaften aufbauen, von denen alle profitieren.