Machtlücke zwischen den Geschlechtern

UN-Generalsekretär António Guterres: Die Ungleichheit der Geschlechter ist die überwältigende Ungerechtigkeit unserer Zeit und die größte Herausforderung für die Menschenrechte. Dabei bietet Geschlechtergleichheit Lösungen für die schwierigsten Probleme unserer Zeit.

Es geht um eine grundlegende Machtfrage. Jahrhunderte der Diskriminierung und des tiefverwurzelten Patriarchats haben in unserer Wirtschaft und unseren politischen Systemen ein gewaltiges Ungleichgewicht der Geschlechter entstehen lassen. Frauen werden noch immer von Führungspositionen ausgeschlossen. Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, werden Ziel von Hass, Bedrohungen und Mobbing, online wie offline. Frauen und Mädchen kämpfen seit Jahrhunderten gegen Frauenfeindlichkeit und dagegen, dass ihre Errungenschaften unbeachtet bleiben. Sie werden lächerlich gemacht, da sie angeblich hysterisch oder hormonell gesteuert sind. Sie werden nach ihrem Aussehen beurteilt. Sie sind Zielscheibe endloser Mythen und Tabus rund um ihren Körper. Sie werden täglich mit Sexismus und männlicher Besserwisserei konfrontiert und als Opfer dafür auch noch verantwortlich gemacht.

Die Machtlücke hindert uns daran, die Herausforderungen und Bedrohungen zu meistern, denen wir gegenüberstehen. Nehmen wir die Ungleichheit beim Gehalt. Frauen verdienen 77 Cent für jeden Dollar, den Männer verdienen. Die neuesten Untersuchungen des Weltwirtschaftsforums besagen, dass es 257 Jahre dauern wird, um die Lücke zu schließen. Mittlerweile leisten Frauen und Mädchen täglich etwa zwölf Milliarden Stunden unbezahlte Pflegearbeit, die in den wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen einfach nicht berücksichtigt wird. Wenn wir eine faire Globalisierung erreichen wollen, die allen dient, müssen wir unsere Politik auf Statistiken stützen, die die wahren Beiträge von Frauen berücksichtigen.

Die Digitaltechnik ist ein weiteres Beispiel. Das mangelnde Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern an den Universitäten, Start-ups und Silicon Valleys ist zutiefst besorgniserregend. Diese Technologiezentren prägen die Gesellschaften und Volkswirtschaften der Zukunft; wir können nicht zulassen, dass sie die männliche Dominanz zementieren.

Oder nehmen wir die Kriege, die unsere Welt verwüsten. Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen der Gewalt gegen Frauen und Konflikten. Wie eine Gesellschaft mit der weiblichen Hälfte ihrer Bevölkerung umgeht, ist ein wichtiger Indikator dafür, wie sie andere behandeln wird. Selbst in friedlichen Gesellschaften sind viele Frauen in ihren eigenen vier Wänden in tödlicher Gefahr.

Es gibt sogar eine geschlechtsspezifische Kluft im Umgang mit der Klimakrise. Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Parlamentarierinnen sind eher als Männer bereit, eine umweltpolitische Strategie zu unterstützen.

Schließlich ist die politische Repräsentation der deutlichste Beweis für das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern. Das Verhältnis von Männern und Frauen in Parlamenten auf der ganzen Welt beträgt im Durchschnitt drei zu eins. Doch je mehr Frauen in einem Parlament sind, desto mehr Innovationen und Investitionen gibt es in Gesundheit und Bildung. Es ist kein Zufall, dass die Regierungen, die den wirtschaftlichen Erfolg neu definieren, um das Wohlbefinden der Bevölkerung und Nachhaltigkeit einzubeziehen, von Frauen geführt werden.

Deshalb war es eine meiner ersten Prioritäten bei den Vereinten Nationen, mehr Frauen in unsere Führung zu bringen. Wir haben jetzt, zwei Jahre früher als geplant, die Gleichstellung der Geschlechter auf der höchsten Ebene unserer Organisation erreicht und haben einen Fahrplan für die Gleichstellung auf allen Ebenen in den nächsten Jahren.

Auf vom Menschen verursachte Probleme gibt es vom Menschen gemachte Lösungen. Unsere Welt ist in Not, und das Schließen der Machtlücke zwischen den Geschlechtern ist ein wesentlicher Bestandteil der Antwort darauf. Wir können Macht neu definieren und verteilen. Das wird für alle von Vorteil sein.

Das 21. Jahrhundert muss das Jahrhundert der Gleichstellung von Frauen sein. In Friedensverhandlungen und Handelsgesprächen, in Sitzungssälen und Klassenzimmern, bei den G20 und den Vereinten Nationen. Es ist an der Zeit, mit dem Versuch aufzuhören, Frauen zu verändern, und damit zu beginnen, die Systeme zu verändern, die sie daran hindern, ihr Potential zu entfalten